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REZENSIONEN
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die am spechtartprojekt
beteiligten artisten
im spiegel der presse

eine auswahl

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matthias bronisch

neue zürcher zeitung
über 'Aus einer südlichen Landschaft'


Aber auch von dieser sonnigen Welt ist die Düsternis von Verwelken, Vergehen und Tod nicht weit entfernt; nach den tanzenden Klängen sonnig-überschäumender Lebenslust verdüstert sich das Bild zusehends. Auch der Nachtmahr gewaltsamen Tötens schleicht sich ein. „Mein Sohn“ heisst ein Gedicht „anlässlich einer Photographie von 1943“, und das beginnt so:“Ich seh einen Jungen, / der hebt seine Arme / hoch.“ Der zerbröckelnde Rhythmus beschwört Unheil herauf: „doch ich halte / etwas / in meinen Händen“. Da ist die bewusste Annahme einer Schuld, eine Identifikation mit dem Schuldigen, mehr noch, eine Gegenüberstellung aller Schuldigen und Unschuldigen, aller Mörder und Opfer der Welt.


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michael halfbrodt

graswurzelrevolution

über 'drinnen+draussen / entscheiden+tun'
wiedergabe der rezension wegen grosser länge gekürzt ...
die ausführliche system kritik bitte im originalbuch nachlesen


systemkritik goes poetry

Jedes Mal ist es wieder eine Freude, wenn ein komplexes Thema nicht nur strukturierend auf seine überschaubaren Bestandteile heruntergebrochen, sondern auch in sprachmächtiger und geistreicher Form behandelt wird. Wer den Anspruch, Leselust und politisches Begreifen als Einheit zu erleben, noch nicht aufgegeben hat, ist gut beraten, sich Michael Halfbrodts Bändchen „drinnen + draussen. entscheiden + tun“ näher anzusehen
(...)Warum verliert, wer mit dem subjektiv revolutionären Impetus des Institutionsmarschierers von draußen, von der Straße, nach drinnen, in die vermeintlichen Zentren der Macht und Entscheidung drängt, auf dem Weg dorthin regelmäßig und offenbar zwangsläufig die Orientierung und, früher oder später, die ursprüngliche Motivation für diesen Schritt? Und was macht einen Produktionsprozess, der sich durch strikte Arbeitsteilung zwischen Entscheidungsträgern und Ausführenden auszeichnet, so irrwitzig? Diese beiden Fragen werden, ohne unangemessene Simplifizierung oder Polemik, mit einfachsten sprachlichen Mitteln gestellt und beantwortet und das liest sich so wunderbar poetisch und leicht, dass man von der theorieschweren Nachbemerkung, die über die handwerklichen und wissenschaftlichen Grundlagen der Textentstehung Rechenschaft ablegt, so überrascht ist wie im Theater beim berühmten Blick hinter die Kulissen

(hier starke kürzung ... es entfiel auch ein original textbeispiel)
(...) Und dieser minimalistische Schreibstil - keine Substantive, einfachster Grundwortschatz - wird konsequent so lange durchgehalten, bis die Mechanismen der kapitalistischen Arbeitsteilung und die der parlamentarischen Einverleibung systemkritischer Energien in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und ihren Wechselbeziehungen umfassend ausgeleuchtet sind.

Kurzum: ein faszinierendes Leseerlebnis! Und wem das ansprechend gestaltete bibliophile Bändchen noch nicht genügend Nahrung für die Sinne bietet oder wem es einfach Appetit auf mehr gemacht hat, dem oder der sei wärmstens empfohlen, sich bei Buchmessen und ähnlichen Anlässen umzuhören, ob nicht etwa eine Lesung des Autors angekündigt ist. Denn beim Hören des eindringlichen Vortrags noch mehr als beim Selberlesen der Texte erschließt und entfaltet sich die rhythmische Kraft ihrer Sprache, und es erscheint nicht mehr verwunderlich, dass „drinnen + draussen“ sogar ein Tanzstück inspiriert hat.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen, Hören und Tanzen!
Hanna Gutmann


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matthias schamp

Süddeutsche Zeitung

über HIRNTREIBEN.EEG

(...)
In einer kurzen Rezension weiß der Rezensent mit dem Kürzel "klauck" nur Gutes über diesen "kybernetischen Roman" zu berichten. Er lobt den ungeheuren Unterhaltungswert des Buchs, das Fantastische, die Ironie, den Einfallsreichtum und das Leichthändige des Autors, der auch Wittgenstein, Luhmann und Orwell einmal blinzeln lasse.
Kurz: Ein Wurf, eine "wunderbare Liebeserklärung an die Qual und an die Kunst des Zweifelns", oder auch: "ein kurioser Science-Fiction-Western um die Rätsel sozialer, biologischer, technischer Steuerungen".

Kurzbeschreibung
Irgendwann am St. Nimmerleinstag, die Menschheit hat schon lange aufgehört zu existieren, stößt Big Daddy Computer, Vater aller Dinge, bei einer Innenrevision in einem seiner entlegeneren Gefilde auf die Datei HIRNTREIBEN.EEG, öffnet sie, liest sie - und beschließt, darüber den Verstand zu verlieren. Das ist die absolut letzte kontrollierte Handlung, zu der er fähig ist.

(...)
Matthias Schamp feierte mit seinem Kurzgeschichtenband 26 Verlierer von A bis Z. Garstige Grotesken ein überragendes Debüt.... Lesen Sie mehr

Über den Autor
Matthias Schamp: geboren 1964 in Bochum, aufgewachsen in Krefeld, lebt zur Zeit als freier Autor und Konzeptkünstler in Bochum und Essen. Zahlreiche Preise, Stipendien und Veröffentlichungen in Rundfunk und in Zeitschriften.


WZ
über HIRNTREIBEN.EEG


"Was Schamp, der wortmächtig die Genres "Western" und "SF" bis in die letzte Phase hinein ausmalt und mischt, hier espritreich und pointenstark gelingt, möchte man fast einen philosophischen Zukunftsroman nennen. Man legt dieses absurde Buch zu keiner Seite aus der Hand, nur ein heiteres Kopfschütteln oder heftiges Lachen unterbricht die Lektüre. Ein neues Standardwerk für Western-Fans und Computer-Freaks: ein wahrer Genuß!"


Am Erker
Zeitschrift für Literatur
über '26 Verlierer von A bis Z'

"Aberwitzig komisch sind diese Texte, oft grell wie ein Comic-Strip und derb wie die Filme von Monty Python, manchmal auch ein wenig abstrus. Aber spürbar bleibt immer die Lust des Autors an der Darbietung des Tragischkomischen – und am Scheitern seiner skurrilen Helden. Und diese Lust überträgt sich bei der Lektüre dieser Geschichten auf den Leser."


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lisa spalt

gangway/literaturmagazin
über 'saschaident - saschaideal'


Zunächst saschaident, dann saschaideal – beide Kapitel des Buches sind sehr unterschiedlich komponiert. Methoden werden einer Prüfung unterzogen, um zu erzählen:

In vielfachen Anläufen nähert sich die Autorin der Figur Sascha, zunächst epischer, dann in eruptiven Sequenzen oder Stufen, immer jedoch über die Sprache. Wie Worte Wandlung erfahren, wie Inhalte neu entstehen, wie eine Geschichte eine andere, immer neue ergibt, wie der Duktus sich insgesamt laufend ändert und doch eine ganz bestimmter, richtungsweisender Rhythmus konsequent beibehalten wird: das Buch ist beispielgebend für Sprachspiel und Disziplin, ist anregend und grün wie der Frosch-König, der es auch ziert.

In zehn Folgen mit informativen Fußnoten packt Lisa Spalt ihre gestrenge Stilvorgabe temperamentvoll an: Wie die Sprache sich zunächst führen läßt, dann eigenbewegt und kreisförmig wird, wie trockeneres Episches plötzlich ornamental oder dramatisch daherkommt.
Wie Sprüche geklopft werden!
Dies alles läßt sich gut begleiten. Und wir lassen uns von der Autorin und ihrer Sprachakrobatik gerne an die Leine nehmen.

Petra Ganglbauer



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horst werder

libus /ausgabe 13
über 'sprengstoff fegen'


Der Klappentext verspricht, daß Horst Werders explosive Poetry „eine sprachkünstlerische Erschütterung im Gehege einer bundesweit eher bravgehaltenen Poesie“ sei. Die Sprache der Lyrik ist nicht nach gängigen Mustern zu verstehen. Die Sätze folgen einer scheinbar wirren Semantik, trotzdem lässt sich der mögliche Inhalt problemlos erschließen. Wenn sich beim nächsten Lesen aber ein anderer Zusammenhang bildet, ist Werders Ziel erreicht: die „Neuorientierung des Blicks“. Die Lyrik scheint fast wie im Cut-Up-Verfahren zusammengesetzt, jedoch bleibt das Zeilen-Schema im gesamten Band fast komplett erhalten. Somit erstand ein kleines Gesamtkunstwerk. Nicht nur dessen Form ergibt eine Linie, sondern auch inhaltlich bleibt ein roter Faden erhalten. Assoziationsfetzen wie „Sony“ tauchen immer wieder auf. Im Stau stehen, Börsenkurse, Sony, Nervosität, Sony, bedrohte Arbeitsplätze, Sony – es ist der festgehaltene Augenblick kurz vor dem Durchdrehen, das in einem Blutbad endet: „freiheit gewinnt blut / über die eigene sein / triumpf das grinsen / daher die opfer / der grausamkeit hohn für das / blut der gelächter“. Der Klappentext verspricht nicht zu viel!

Ronald Klein


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fritz widhalm

moderne klangkunst
über ':huch.'
Soundtrack zum Buch sowie Prosavertonung


In seinem Buch „:HUCH.“ beschäftigt sich der Wiener Fritz Widhalm mit Zwang und Hypochondrie. Zu jedem Kapitel mit solch illustren Titeln wie „Die überschüssige Magensäure“, „Die anzüglichen Ofenrohre“ oder „Die kürbisförmige Beschaffenheit“ liefert er einen Soundtrack. Seine skurrile lautsprachliche Erzählung führt Zusammenhänge zwischen Sex und Magen, sowie Denken und Verdauen vor. Ein Textbeispiel: „:huch rita rubbelt in heftigen kreisbewegungen ritas klitoris u. huch haeris hand folgt ritas beispiel patschpatsch johlt haeri u. rubbelt in heftigen auf u. ab bewegungen haeris eichel huch haerihaeri haerihaeri johlt haeri u. rubbelt in heftigen patschpatschkreisbewegungen patschpatsch ritas klitoris u. huch ritas riesenpoposch pavianpoposch johlt haeri“. Die einzelnen Stücke des Soundtracks bestehen aus immer den gleichen neun Samples von Widhalms Spiel auf u.a. Kürbisflöte, Geige und Mundharmonika, die er nach dem gleichen Wiederholungsmuster wie die Textbausteine in den Kapiteln des Buches angeordnet hat. Überlagert werden alle Stücke von einem selbst erstellten Delay-Effekt, der die Stücke sehr blechern und kalt klingen lässt. Während das Buch sehr bildhaft und lebendig daher kommt, wirkt der Soundtrack irritierend statisch.




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gerald fiebig

augsburger allgemeine

über zweistromland


'lichter der stadt, die sich eindrücken in deine
netzhaut & zu einer bildsprache werden...'
mit ihrem über die dauer von drei jahren rhizomatisch
gewachsenen poem -zweistromland- feiern die autoren
ibrahim kaya und gerald fiebig (ex-herausgeber der
literaturzeitschrift -zeitriss-) den lyrischen dialog
und die sprache überhaupt. dabei finden sie zu einer
mitreißenden und dichten bildhaftigkeit, in die die
themengebiete der politik und kunst ebenso einfließen
wie die konkrete erfahrung des urbanen. ein vergnügen, das arbeitswelt und so alltägliche befindlichkeiten wie das sitzen am küchentisch ... aber auch die angst vor dem abgrund, dem atomaren verbindet




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jürgen o. olbrich

hessische allgemeine

über 'eine performance von jürgen o. olbrich'







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peter bornhöft

neue westfälische
zu dem essay
die mysterien des körpers.
über schlaf, liebe, versenkung und tod



"Bin ich nur, wenn ich denke? Ein Buch gegen die Vernunftzentrierung der abendländischen Geschichte... Es ist die bekannte Analyse des Naturverlusts der Moderne, der Verdrängung und Verleugnung des Natürlichen, die zur Zerstörung der Natur und letztlich also zur Selbstzerstörung des Humanen führen müsse... Bornhöft weist uns einen anderen Weg zur Natur, nämlich den über die Wiederentdeckung der eigenen Physis. Nirgends geht uns die Natur so unter die Haut wie im eigenen Körper, der Bedingung des Geistes. Dabei denkt der Autor nicht an kompetitiven Körperkult wie Fitness und Bodybuilding, sondern an Phänomene wie Schlaf, Liebe, Tod, Phänomene, in denen sich Körper/Natur ihre Autonomie gegenüber der Herrschaft des Geistes behaupten. Die meditative Versenkung, die mystische Erfahrung gehören dazu..."

Wolfgang Schimmang




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michael halfbrodt & ralf burnicki

der störenfried


Poesie im Archiv
In Magdeburg wurden die zwölften Literaturwochen veranstaltet und selbstverständlich konnte da das “blaue welt archiv” nicht abseits stehen. Schließlich hat das Literaturhaus seinen Sitz gleich gegenüber und wir hofften, dass viele von denen, die immer da draußen davor stehen, gerne zu denen gehören würden, die da drinnen bei uns sitzen. Aber sie hatten wohl Angst vor linker Lyrik.
Bei denen, die da drinnen saßen, waren zwei Autoren aus Bielefeld zu Gast, von denen einer, Ralf Burnicki, schon einmal vor langer, langer Zeit in der U8 einen Vortrag gehalten hatte. Diesmal war er mit Michael Halfbrodt gekommen, der ebenfalls aus Bielefeld stammt. Sie wollten uns nun ihre Sicht der Welt näherbringen und was sie zu sagen hatten klang ziemlich gut und wurde in Form von libertärer, d.h. anarchistischer, Poesie vorgetragen.
Zwischendurch gab es immer wieder lebhafte Diskussionen, über den Sinn anarchistischer Lyrik, die Inhalte der vorgetragenen Gedichte und vieles mehr.
Besonders bemerkenswert waren Halfbrodts “drinnen&draussen” und ein schönes Liebesgedicht von Burnicki. Sie haben damit gezeigt, dass es möglich ist, Themen aus dem ganz normalen Leben künstlerisch zu verarbeiten und dabei den politischen Anspruch nicht aus den Augen zu verlieren. Von der Qualität her kann man sie ohne weiteres in eine Reihe mit libertären Künstlern wie Mühsam, Reiser oder dem Chumbawamba-Kollektiv stellen.



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matthias bronisch

stuttgarter zeitung
über 'moderne makedonische Lyrik'


Was Matthias Bronisch, der die meisten Arbeiten auch selbst übertragen hat, mit diesem Buch gelang, ist bemerkenswert. Er macht eine Gedichtwelt sichtbar, die für uns genügend Ferne hat, um unsere Neugier herauszufordern, aber zugleich genügend Nähe, so daß wir vieles von der Sprechweise wiederfinden, auf die wir uns im Umgang mit zeitgenössischen Gedichten eingehört haben.

Walter Helmut Fritz

neue westfälische
über 'Der Lärm der Straße dringt herein'


Aber harmlos ist diese nüchterne Prosa keineswegs; unter ihrer trügerisch unauffälligen Oberfläche bahnt sich stets das Drama an oder die Groteske, in der das vorgeblich Heile zerspringt und zersplittert

Dr. Manfred Strecker




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ralf burnicki/ michael halfbrodt

graswurzelrevolution

über
"Die Wirklichkeit zerreißen wie einen misslungenen Schnappschuß"


Hach, ist das schön!

Und dabei ist es mit Lyrik gemeinhin so eine Sache. Hans Magnus Enzensberger hat einmal geschrieben, lesen wolle Gedichte niemand. Nur schreiben.
(...)

Nichts von alledem!

Das im Frankfurter Kleinverlag Edition AV 88 erschienene Buch von Ralf Burnicki und Michael Halfbrodt, "Die Wirklichkeit zerreißen wie einen misslungenen Schnappschuß.", ist eine kleine literarische Perle. Es handelt sich um keine Anthologie, sondern um ein richtiges Gedichtbändchen, 103 Seiten stark, das Halfbrodt und Burnicki, je zur Hälfte, mit eigenen Texten füllen. Niemand sollte sich vom zwar informativen, aber trockenen und umständlichen Duktus des Vorwortes abschrecken lassen. Halfbrodt und Burnicki greifen unbekümmert und mit beiden Händen in den Fundus aus Bild und Sprache. Geschrieben wird ohne Netz und doppelten Boden, opulent, verschwenderisch und stets mit vollem Risiko. Gemeinsam ist beiden, bei aller Unterschiedlichkeit, "der entfesselte Blick" auf die Herrschaft der Zustände und die Suche nach einer Poesie, der keine Gliedmaßen fehlen und die ideologische Krücken deshalb nicht braucht.

In "Nieder. Poem zur deutschen Nation und zum deutschen Nationalismus von der Reichsgründung bis zur Gegenwart" (S.17-35) präsentiert Halfbrodt eine im wahrsten Sinne des Wortes "verdichtete" Geschichte jenes Landes, das "Vaterland" heißt. Ein enormes Prosa-Gedicht, eine wütende Verspolemik gegen Wirkung und Wirklichkeit deutscher Tradition, für die die zornigsten der französischen Surrealisten Pate standen: "In vertikalen Gettos aufgestapelte Steuerzahler schlucken ihre in Fahndungsplakaten verpackten Schlaftabletten und wünschen ihrem Farbfernseher und ihrer Couchgarnitur eine gesegnete Nachtruhe" (S.24/25). Das Gedicht ist eine einzige, große Satzperiode; und durch diesen Kunstgriff rast die Zeit dahin, atemlos und ohne innezuhalten. Walter Benjamins "Engel der Geschichte" ist auf dem Weg ins kommende Jahrtausend. Politische Polemik und dichterische Form fallen in eins.

Manch grimmiges Bildgeschoss mag zwar, mit allzu- viel Adjektiven beladen, schon vor dem Ziel wieder zur Erde sinken. Das spricht aber nur für den künstlerischen Mut des Autors, und für jede schwächere Stelle wird postwendend entschädigt, zum Beispiel "wenn die an Wackelkontakten leidenden Staatssekretäre (...) in Zweizimmersärgen mit eingebauter Scheintotenklingel wohnen". (S.24)

Ralf Burnicki stellt neun Texte aus seinem schon 1996 bei Edition Blackbox (Bielefeld) erschienenen Band "Stadtschluchten" vor. Und obwohl auch hier nicht jeder Text genial sein kann, muß sich Burnicki keineswegs hinter seinem bielefelder Dichterkollegen verstecken - im Gegenteil. Burnickis "Stadtschluchten" sind Stadtwanderungen; ein Spaziergang von Wahrnehmung und Assoziation durch die Stadt, in der viele Städte Platz haben; die Stadt, von der man nie wirklich weiß, ob sie nicht eigentlich im eigenen Kopf errichtet wurde; die nur durch das eigene Blut, die eigenen Träume erwärmt wird (In Burnickis Gedicht "Stau" z. B. werden Körper und Karosserie praktisch eins). Der "entfesselte Blick" ist der des Beobachtenden nach Innen und Außen. Auch hier also keine gereimte Schulstunde, kein Zeigefinger, keine Belehrung: das "Libertäre" ist die Art des Schauens - und die Art des Schreibens:"Es sollte anders werden. Der Frühling, Hausbesetzer alten Schlages, war in den Norden eingestiegen, riss ihm alle Fenster auf und hätte noch fast die Zukunft instandbesetzt, wären da nicht einige Nächte aufmarschiert mit ihrem tiefsten Blaulicht und Schlagstöcken aus Wind und hätten sämtliche Ansichten geräumt. Doch der Frühling kam wieder mit seinen sonnigsten Kumpels und Kumpaninnen, den prächtigsten Mittagen, ellenlangen Bekannten, die beinahe von früh bis spät reichten. Und während sie den Straßen ins Kreuz fielen, wurden den Gärten die buntesten Grafittis gesprüht" (S.71).

Burnicki kann es auch direkt und geradeheraus, wie in "Liebe Luxus Kapitalismus" (S.90) oder dem hinreißenden "Anarchie braucht keine Hosenträger".(S.98), einem Gedicht, das den mit allen Stowassern gewaschenen Linken zu Einkehr und Bereicherung dienen mag. Und dann, ja dann wäre da noch "No Limits" (S.68), ein Liebesgedicht, so traumhaft schön und sicher, daß ich mir vorgenommen habe, es zu kopieren und in meinem Zimmer an die Wand zu hängen - neben Kurt Schwitters "Anna Blume" natürlich: "Komm zu mir und bring all Deine Überraschungen mit (...)" (S.67).

Was von Halfbrodt und Burnicki geboten wird, ist künstlerisch wie inhaltlich auf lauwarme Solidaritätsbekundungen nicht angewiesen. Es wird Literatur gemacht. Eigenständige Literatur. Schöne Literatur. Anarchistische Literatur. Toll!

Jodsenf Felsfreß




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clemens gadenstätter & lisa spalt

gangway/literaturmagazin
über 'TAG DAY schreibspiel'


Parameter der Wahrnehmung, das Organische mithin, wie zirkuläres Denken sind Gegenstand jener dialogischen Annäherung, welche der Komponist Clemens Gadenstätter und die Autorin Lisa Spalt in ihrem Band „TAG DAY schreibspiel“ vornehmen. Es ist dies der insgesamt 12. in der Reihe gegensätze.
Die bisherigen vorliegenden Bände der Reihe, die von Dieter Sperl und Paul Pechmann herausgegeben wird, sind allesamt sehr unterschiedlich konzipiert; gerade das macht die Edition so spannend.

Um das Einzelne wie/als das Ganze geht es in den Untersuchungen von Spalt und Gadenstätter, um das Ganze als Teil seiner selbst, als konstitutives Element, als Organ (s)eines Gesamtorganismus.

Realität, Bedeutung, Zeit sind einige Untersuchungsfelder, mit denen sich die beiden befassen, und dies stets auch im Spiegel von Kunstproduktion.
Was sich ergibt, sind lakunäre (Gedanken)teppiche, Interdependenzen, Kongruenzen, Repulsionen.
Wenigstens ansatzweise wird auch zurückgegeriffen auf Bestehendes, ich persönlich erinnere u.a. eine gewisse Nähe zu „Die fraktale Geometrie der Natur“, von BenoÎt B. Mandelbrot, jedoch wird ausgewiesen: „nichts stimmt hier wenigstens prinzipiell.../ oder:/ alle anklänge an bestehende philosophische/ systeme sind unterlaufen und willkommen.“

Ein interessanter Band für all jene, die sich wieder und erneut einer phänomenologischen Auseinandersetzung stellen möchten.




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ilse kilic & fritz widhalm

reviews

über 'ODYSSEE IM ALLTAG'

des verwicklungsromans dritter teil

Wir erinnern „Dieses Ufer ist rascher als ein Fluß“ und „Neue Nachrichten vom gemeinsamen Herd“, Teil 1 und Teil 2 des Verwicklungsromans des Autor/inn/enpaars Ilse Kilic und Fritz Widhalm, – Bücher, die ich mit Spaß und Freude gelesen habe, weil sie gleichermaßen spannend wie informativ sind. Wir erfahren nämlich eine ganze Menge über naz und jana, die Protagonisten des Romans wie deren Alter Egos.

Zeitsprünge sind das bisweilen auch im neuesten Band, Zeitreisen förmlich zwischen gestern, als jana und naz noch jung waren, und heute, und immer wieder blinken Namen auf, die wir kennen. Namen von Autor/inn/en und Künstler/inn/en etwa.

Einige davon sind quasi in realiter präsent, haben sie doch vortreffliche Skizzen des Paares jana und naz für das vorliegende Buch gefertigt: Stefan Krist, Margret Kreidl, Christine Huber oder Lucas Cejpek.

Originell, unterhaltsam, berührend, schwungvoll, witzig, kindlich, sprachspielerisch und spielend geschrieben ist dieser autobiografische Gemeinschaftsroman, ein Stück Geschichte heute schon und Spiegel einer ganz spezifischen Kunst- und Literatur-Szene.
Eine Frage darf noch gestellt werden: Wie geht es weiter?

Petra Ganglbauer




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matthias schamp

Berliner Zimmer

über HIRNTREIBEN.EEG



Brainriders in the Sky

In Macondo Edition Eins haben wir die Geschichte „Das letzte der großen Gefühle“ von Matthias Schamp veröffentlicht, eine Geschichte, die Schamp beinahe den Förderpreis des Literaturpreises Ruhrgebiet einbrachte. Zu dumm, dass er mit einem mehrfach veröffentlichten Text von der Teilnahme ausgeschlossen und kurz vor der Preisverleihung disqualifiziert wurde. Wie auch immer: der damalige Text überzeugte durch seinen mitreißenden Wortfluss, der sich exzessiv beschleunigt und dem Leser letztlich Zungenbrecher-Wortkaskaden förmlich um die Ohren haut.

Schamps nun erschienener Roman fährt hiergegen mit gedrosseltem Tempo, doch die Handlung scheint nicht minder absurd. Wir begleiten acht sonderbare Cowboys auf einer einsamen Mission. Die Cowboys sind Computerprogramme und sie treiben eine Horde Hirne gen Osten. Das klingt vielleicht zunächst bescheuert, doch Schamp schafft es, auch die paradoxesten (dieser Roman beweist, dass eine Steigerung dieses Wortes möglich ist) Erzählstränge mit einer inneren Logik zu versehen. Wenn man sich hierauf einlässt, wird der lange Treck der Hirne zu einem grandiosen Lesespaß rund um Schwielen-Icons, Leuchtdioden- Lagerfeuer, Angeln am Informationsfluss und der großen Frage, ob der binäre Code ein Beweis für die Zweigeschlechtlichkeit von Programmen ist. In dieser Welt ist das Lästern gegen die Programmierung verboten und die Schnittstelle das größte Mysterium - führt eine Schnittstelle in eines der sagenumwobenen Ausgabemedien, in ein Peripheriegerät, das den Eintritt in die Realität ermöglicht?

Matthias Schamp gehen auf über 200 Seiten die abstrusen Ideen nicht aus und auch, wer nicht PC-besessen ist, wird seine Freude an diesem vielleicht originellsten deutschsprachigen Roman der letzten Zeit haben.

Frank Schorneck



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horst werder

graswurzelrevolution

über 'sprengstoff fegen'


Der 62jährige Autor und Künstler Horst Werder veröffentlichte Erzählungen unter anderem im bekannten „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ des Fischer-Taschenbuchverlages.
Mit Werders Gedichten aus den Jahren 1997 bis 2000 wird der „schönen“ Literatur jetzt allerdings auch auf sprachexperimentelle Weise eine Absage erteilt.
Entstanden ist eine radikale Lyrik, wie schon der Titel „Sprengstoff fegen“ ankündigt, und als wollte der Titel gängigen Vorurteilen über AnarchistInnen entsprechen, erschienen die Texte ausgerechnet in einem anarchistischen Kleinverlag.

Radikal ist diese Lyrik allerdings nicht im direkten politischen Sinne, sondern im Sinne einer völligen Abkehr von alltäglichen Lese- und damit auch Konsumgewohnheiten: Grammatik und Alltagssprache werden auf eine Weise auf den Kopf gestellt, die ihresgleichen sucht. Eine eindeutige Satzstruktur wird mensch wohl selten entdecken, und wer Wohlfühllyrik bevorzugt, wird in diesem Gedichtband nichts passendes finden. Stattdessen stoßen die Texte etwas gegen den Verstand, und irgendwie kommt dann die Ahnung, daß hier literarisch ein ganz neues Tor aufgemacht wird, denn Werder gelingt es mit sprachlichen Mitteln, die sich auf den ersten Blick der Rationalität entziehen, tiefgründiges um so vehementer anzudeuten. In seinem Gedicht „Asyl“ beispielsweise kommt die brutale Lebensangst von hier lebenden Flüchtlingen vor der hiesigen Gesellschaft zum Ausdruck

Werder selbst beschreibt seine Texte als "anarchisch außerhalb sprachlicher Logik aus Vorgefundenem - Vorzufindendem gefügt. Kein Sichtbarmachen des Unsichtbaren, sondern ein Sichtbarmachen des Sichtbaren. Alles bloß hinstellend, nichts folgernd und erklärend, weil alles offen liegt". Und was mir als LeserIn hier so "offen liegt", ist einen weiteren Anriss wert. Mit "Sprengstoff fegen" ist eine Poetry entstanden, die in kein Interpretationsmuster passt. Vielleicht wesentlich weniger noch als bei den oben angeführten Texten geht es bei Werders Gedichten darum, irgendeinen fertigen Inhalt zu verstehen, sondern geradezu um eine Neuorientierung des Blicks, um ein Hineinlesen und Hineingeben eines denkbaren Inhalts. Die meisten Texte bieten wenig an, ganz im Gegenteil: sie verlangen den LeserInnen etwas ab, nämlich einen kreativen Blick, der Sätze vervollständigt und Bilder ergänzt, also subjektive Vorstellungen hineinprojiziert. So können die Texte Werders im doppelten Sinne eine Begeisterung für literarische Freiheit auslösen: einmal aufgrund ihrer sprachspielerischen Ausrichtung und andererseits aufgrund ihrer Offenheit für subjektive Sinnprojektionen..


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spechtartprojekt 2010 / günter specht / gütersloh